Die „Elektrische“ hatte man in Wattenscheid mit Spannung erwartet. Vor allem der Gründer und Verleger der Wattenscheider Zeitung, Carl Busch (1836 – 1927) „brannte“ für das neue Verkehrsmittel. In den 1920er-Jahren engagierte sich der Verleger und Journalist für den Erhalt der Souveränität der Stadt Wattenscheid.
Am 13. März 1869 war Buschs Zeitung erstmals erschienen. Vom 1. April 1869 an gab es sie an allen Werktagen, damals noch als Wattenscheider Anzeiger. Fünf Jahre später wechselte der Titel in Wattenscheider Zeitung.
Den Bau der Straßenbahnstrecke von Gelsenkirchen über Wattenscheid nach Bochum beobachtete Carl Busch sehr genau. Fast wöchentlich erschienen von Mitte 1895 bis in das Jahr 1896 hinein Artikel über den Baufortschritt. Als Amtsblatt für die Ämter Ueckendorf und Wattenscheid veröffentlichte die Wattenscheider Zeitung in dieser Zeit auch alle offiziellen Verlautbarung der mit dem Bau der Bahn beauftragten, in Berlin ansässigen Firma Siemens & Halske.
Die Wattenscheider Bevölkerung „fieberte“ der Eröffnung der Straßenbahn entgegen. So reichte das Gerücht, ein Probewagen werde am 20. Januar durch die Stadt fahren, aus, um eine „große Menschenmenge“ an der Friedenskirche zusammenzubringen:
VERZÖGERUNG IN LETZTER MINUTE
Tatsächlich hatte die Wattenscheider Zeitung selbst am 11. Januar den 20. Januar als Termin für die landespolizeiliche Abnahme der Strecke in Aussicht gestellt. Diese fand jedoch erst am Nachmittag des 10. Februars statt.
Zu Verzögerungen führte in letzter Minute das Ansinnen des Wattenscheider Kriegervereins, ein Denkmal im Gedenken an die Gefallenen von 1870/71 vor der Friedenskirche zu errichten. Vom Presbyterium der Friedenskirche wurde der Plan heftig kritisiert. Auch die Straßenbahn war dagegen.
Während des Abnahmetermins der Straßenbahn bestand das Denkmal-Komitee darauf, die Ausweiche der Straßenbahn vor die damalige Gastwirtschaft Stork (Hochstraße 25) zu verschieben. Am Ende war die Betriebsgenehmigung tatsächlich mit der Auflage verbunden, die an der Friedenskirche bereits eingebaute Ausweiche auf Kosten des Denkmal-Komitees zu verlegen.
Bis zum 14. Februar 1896 waren die Auflagen erfüllt, so dass der Betrieb der Straßenbahn aufgenommen werden konnte.
EINWEIHUNG DES KRIEGERDENKMALS
Die Grundsteinlegung für das vom Wattenscheider Kriegerverein im Gedenken an die Gefallenen von 1870/71 gestiftete Denkmal, dessen Standortdebatte im letzten Moment die Inbetriebnahme der Straßenbahn verzögert hatte, fand am 27. September 1896 statt. Letztlich kam es jetzt doch auf den Neumarkt und nicht vor die Friedenskirche – mit der Folge, dass die Ausweiche der Straßenbahn wieder an den ursprünglichen Ort zurückkehrte. Zuvor hatte die Stadtverordnetenversammlung den Neumarkt mit Beschluss vom 27. August 1896 in „Kaiser-Platz“ umbenannt. Seit 1921 heißt der Platz (mit mehrjähriger Unterbrechung in der NS-Zeit) August-Bebel-Platz.
Am 15. Mai 1897 traf die in Berlin für das Denkmal gegossene Bronzeskulptur in Wattenscheid ein. Wenig später, am 29. Mai 1897 um 12 Uhr wurde die Anlage eingeweiht. Ein Festzug zog im Anschluss an die Feierlichkeiten vom Kaiserplatz zunächst über die Ost-, Nord-, Freiheit- und Voedestraße durch den Stadtkern. Weiter ging es vom Kaiserplatz über die Hochstraße zum Festplatz an der Bochumer Straße. 24 Veteranenvereine aus dem gesamten ehemaligen Amt Wattenscheid sowie fünf Musikchöre nahmen am Festzug teil. Die Straßenbahn richtete eine Sonderhaltestelle in Höhe der heutigen Haltestelle „Vietingstraße“ ein.
Auf „Centrum“ wurde eine Feierschicht eingelegt, um den Bergleuten die Teilnahme an den Feierlichkeiten zu ermöglichen. Die Sonntagsruhe wurde aufgehoben, so dass an diesem außergewöhnlichen Tag alle Geschäfte geöffnet waren.
LAGE DER HALTESTELLEN
Mit Spannung wurde insbesondere erwartet, vor welchen Gaststätten die Haltestellen der Straßenbahn eingerichtet werden sollten. Am 1. Februar 1896 konnte die Wattenscheider Zeitung das Geheimnis lüften. Nur die Haltestelle an der Querstrasse wurde später noch um einige Meter verlegt:
Das Beitragsbild zeigt den Anfang 1896 von der Waggonfabrik Gebrüder Hofmann & Cie. in Breslau für die Wattenscheider Strecke gebauten Triebwagen 45 im Gelsenkirchener Betriebshof. Das Bild wurde vermutlich 1899 aufgenommen (Siemens Historical Institute – Sammlung Karl-Heinz Kelzenberg / Georg Höfer). Die Wagen der Wattenscheider Linie waren von Anfang an in der Weise, die auf dem Bild zu sehen ist beschildert. Sogenannte „Zielschilder“ wurden in Bochum und Gelsenkirchen erst 1897 eingeführt.