GÜTERVERKEHR

Als die Straßenbahnnetze in Bochum und Gelsenkirchen entstanden, war nicht daran gedacht, neben dem Personenverkehr auch Gütertransporte durchzuführen. Das einzige, von der Straßenbahn beförderte Gut waren anfangs Postsendungen zwischen Wattenscheid und Ueckendorf. Diese erste Güterverkehrsleistung wurde nach einem Bericht der Wattenscheider Zeitung erstmals am 24. Februar 1896 erbracht:

Das änderte sich im Ersten Weltkrieg. Vor allem im Netz der Westfälischen Straßenbahnen GmbH entstanden zahlreiche Gütergleise, überwiegend für einen von der Eisenbahn unabhängigen Transport von Kohle zwischen Zechen und Industriebetrieben.

Auf der von der Westfälischen Straßenbahn GmbH betriebenen Straßenbahnstrecke von Herne nach Höntrop wurde kein Güterverkehr durchgeführt. Die Triebwagen der Kommunalen Straßenbahn, von denen viele aufgrund des im Ersten Weltkrieg ausgedünnten Fahrplans im Liniendienst entbehrlich waren, wurden demgegenüber im gesamten Netz als Schleppfahrzeug für 10 Tonnen Kohle fassende Selbstentladewagen herangezogen. Die Beschilderung für die Linie Herne – Höntrop wurde dabei nicht entfernt.

Ein Beispiel dafür ist der 1918 an der Kohleverladeanlage der Zeche Constantin III aufgenommene Triebwagen 213 (Westfälische Straßenbahn GmbH – Sammlung Wolfgang R. Reimann). Der Kohlebunker befand sich an einem parallel zur Castroper Straße in Grumme angelegten Ladegleis. Heute befindet sich an dieser Stelle die Rampe zum Stadtbahntunnel der Linie 308/318.

IM ZWEITEN WELTKRIEG

Im Verlauf des Zweiten Weltkriegs wurde die Straßenbahn erneut in den Gütertransporte eingebunden: Um die Versorgungssicherheit der Städte sicherzustellen, wurden erneut an zahlreichen Stellen im heutigen Bochumer und Gelsenkirchener Stadtgebiet neue Gütergleise für die Straßenbahn angelegt.

AUGUST-BEBEL-PLATZ

In Gelsenkirchen entstand 1942 ein von der Straßenbahnstrecke nach Günnigfeld abzweigendes Gütergleis zum Großmarkt sowie 1943 ein von der Strecke nach Buer abzweigendes Gütergleis über die Werftstraße zum Stadthafen. In Bochum wurde eine Eisenhütte zum Großmarkt umgebaut. Auch hier gab es ein Anschlussgleis für die Straßenbahn.

In Wattenscheid wurde ein Gleis auf den damals für den Wochenmarkt genutzten späteren August-Bebel-Platz gelegt. Die Planskizze dafür wurde am 11. November 1942 fertiggestellt. Im Frühjahr 1943 wurde das Gleis fertiggestellt. Es zweigte über eine stumpfe Weiche von dem aus Bochum kommenden Streckengleis ab. Über den Gleiswechsel an der evangelischen Kirche konnten Güterlieferungen aus Bochum und Gelsenkirchen auf das Stumpfgleis rangiert werden.

Tatsächlich genutzt wurde das Gleis nach den bisherigen Recherchen sehr selten, wenn überhaupt. 1953 wurde das Gleis betrieblich stillgelegt, im November 1962 wurden die Gleise entfernt. Wenig später begannen die ersten Erdarbeiten zum Bau des neuen August-Bebel-Platzes.

Im Vorfeld dieser Arbeiten nahm ein städtischer Fotograf im Januar 1962 zur Dokumentation des Ursprungszustandes das nachfolgende Bild auf (Stadt Bochum, Pressestelle).

SCHAFFNERWEG

Ein weiteres Gütergleis auf Wattenscheider Stadtgebiet gab es für kurze Zeit zwischen Eppendorf und Weitmar:

Für den Bau einer neuen Straßenbahnersiedlung der Bochumer Heimstätten e.G.m.b.H. am Schaffnerweg in Weitmar wurde ein Anschlussgleis für Materialtransporte in Höhe der Haltestelle „Kamplade“ angelegt. Es zweigte in Höhe der gleichnamigen Gaststätte von der Strecke nach Oberdahlhausen ab.

Der Bau der Siedlung ging auf eine politische Initiative im Jahr 1934 zurück. Ziel war es, den Siedlungsbau zu fördern. 62 Mitarbeitende der Bochum-Gelsenkirchener Straßenbahnen AG bewarben sich um eine Siedlungsstelle. Nachdem sie als politisch geeignet eingestuft worden waren, konnten sie sich an dem Projekt beteiligen.

Das kurz vor der Stadtgrenze liegende Grundstück für den Bau der Siedlung erwarb die Bochum-Gelsenkirchener Straßenbahnen AG im Mai 1935 für 28.000 Reichsmark. Sie übernahm auch die finanziellen Bürgschaften. Die Erschließungsstraße und die Häuser mussten in Eigenleistung erstellt werden. Zudem waren pro Haus je nach Typ 8.000 bzw. 10.000 Reichsmark selbst aufzubringen.

Im März 1936 begannen die Bauarbeiten. Um das Gütergleis zur Baustelle anzulegen, wurde in der Ruhrstraße eine Kletterweiche verlegt. Von dieser führte das Gleis über einen noch heute erkennbaren Feldweg bis zur Baustelle. Über eine 90-Grad-Kurve wurde der Schaffnerweg erreicht. In diesem wurden das Gleis und die Oberleitung bis zum „Bremkamp“ fortgeführt. So konnten fast alle Baugrundstücke von den Materialzügen erreicht werden.

Sand und Kies für die Siedlung wurden vom Rhein-Herne-Kanal aus Herne geholt. Das Bauholz kam vom Straßenbahnbetriebshof in Witten, der über ein Anschlussgleis der Reichsbahn verfügte.

Die Ziegel für die Siedlungshäuser lieferten die Zeche „Friedrich der Große“ in Herne und die Hattinger Henrichshütte.

Überliefert ist nur, wie die Ziegel an der Henrichshütte geladen wurden: In einem Streckenabschnitt der Linie nach Blankenstein, der unmittelbar an der Werksmauer der Hütte entlanglief, hatte man für die Straßenbahner-Siedlung eine provisorische Ladestelle geschaffen. Der Güterzug wurde über die Mauer hinweg über eine aus Brettern gefertigte Schütte mit den Ziegeln beladen.

  • Die Siedlung Schaffnerweg, aufgenommen 1938 nach der Fertigstellung.
    Foto Prof. Heinrich Hoffmann, Gauverlag Bayreuth - Sammlung Ludwig Schönefeld

Die Fotos dokumentieren den Transport von Ziegel für die Neubauten am Schaffnerweg. Sie wurden einer Chronik entnommen, die 1986 in kleiner Auflage zum 50. Geburtstag der Siedlung erschien (Sammlung Siedlung Schaffnerweg). Es zeigt das provisorische Anschlussgleis in der Siedlung. Aufgrund der Seltenheit habe ich mich entschieden, die stark gerasterten Aufnahmen trotz der schlechten Qualität zu zeigen.

POST(WAR)-TRANSPORTE

Nach dem Krieg – post war – gab es in Wattenscheid keinen Straßenbahn-Güterverkehr. Bis in die 1970er-Jahre hinein wurden allerdings noch regelmäßig Postbeutel mit der Straßenbahn befördert. Ein bis heute im Bochumer Zentrum für Stadtgeschichte erhalten gebliebener Postbeförderungsvertrag vom 15. Februar 1968 regelte den Transport von werktäglich einem Postbeutel von Gelsenkirchen nach Wattenscheid.

Das nachfolgende Bilddokument veröffentlichte die Bochumer Ausgabe der Ruhr Nachrichten am 12. Juni 1953. Es zeigt, wie ein Mitarbeiter der Bochumer Briefverteilstelle dem nach Gelsenkirchen fahrenden Straßenbahnwagen die für Wattenscheid und Gelsenkirchen bestimmte Post mitgibt.

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