WATTENSCHEIDER FAHRZEUGE

Eigentlich gab es ja keine „Wattenscheider Fahrzeuge“ bei der Straßenbahn, das sich auf dem Stadtgebiet weder der Sitz eines Verkehrsbetriebes noch ein Betriebshof befand. Die Kommunale Straßenbahn-Gesellschaft Landkreis Gelsenkirchen wurde jedoch von vielen Fahrgästen wie die eigene Straßenbahn wahrgenommen.

Der Verwaltungsausschuss der Kommunalen Straßenbahn hatte nach der Gründung der Gesellschaft die Bauausführung der Bahn den Siemens-Schuckertwerken übertragen. Dieser Firma oblag auch die Beschaffung der notwendigen Straßenbahnwagen für die neue Strecke.

Die Aufträge zur Herstellung der Aufbauten vergaben die Siemens-Schuckertwerke an die Hamburger Strasseneisenbahn-Gesellschaft in Falkenried bei Hamburg (später Waggonfabrik Falkenried). Untergestelle und Radsätze wurden bei der Firma van der Zypen & Charlier in Deutz bestellt.

Insgesamt wurden im Dezember 1907 neunzehn Triebwagen geliefert, die die Nummern 1 bis 19 erhielten. Triebwagen 18 wurde 1908 für Siemens vor dem Depot in Eickel fotografiert (Siemens Historical Institute).

Der aus verblechtem Holz hergestellte Wagenkasten der Triebwagen hatte eine Länge von acht Metern und eine Breite von zwei Metern. Der Achsstand der Pressträger-Fahrgestelle entsprach mit zwei Metern einem damals üblichen Maß.

Die Fahrgestelle waren schon nach wenigen Jahren recht reparaturanfällig: In vielen Fällen traten seitliche Ausbiegungen der Träger auf. Sie waren teils auf eine ungünstige Beanspruchung der Tragfedern, teils auf mangelhafte Querversteifungen zurückzuführen. Ebenso häufig brachen die Nieten an den Befestigungsstellen der Querversteifungen und Knotenbleche.

Als Achskopflager fanden Rollenlager Verwendung, als Achskopffedern Blattfedern. Vier weitere Blattfeder-Pakete federten den Wagenkasten gegenüber dem Fahrgestell ab. Das Leergewicht der Wagen betrug 9,5 Tonnen.

In die Fahrzeuge waren zwei, jeweils 30 kW starke Motoren des Typs D 54 s eingebaut, die ihre Leistung mit einer Zahnradübersetzung von 1:5,1 auf die Achsen übertrugen. Die Motoren waren besonders wartungsfreundlich, da sich die Gehäuse von unten aufklappen ließen. So konnte man die Anker leicht herausnehmen. Die Wagen blieben dennoch rollfähig.

Die Geschwindigkeit wurde mit einem Siemens Schleifringfahrschalter des Typs NW über neun Fahr- und fünf Bremsstufen reguliert. Wie bei vielen von Siemens gebauten Bahnen gab es den Lyrabügel in Dachmitte. Schienenräumer an den Fahrgestellen sollten Steine und andere Hindernisse von den Gleisen fernhalten. Mit Bolzenkupplungen ließen sich die Triebwagen kuppeln.

Luxuriös war der Innenraum der Wagen ausgestattet. Bei der Betriebseröffnung berichtete der „Herner Anzeiger“: „Die Wagen sind ganz neu und vornehm ausgestattet, mit Quersitzen (2 rechts, 1 links) aus Mahagoni und breitem Mittelgang.“  Der Fahrgastraum war von den geschlossenen Führerständen mittels einer doppelten Schiebetür getrennt. Er bot 18 Sitzplätze. Außerdem war auf jedem Führerstand ein Klappsitz für den Schaffner vorhanden.

Der Führerstand ließ sich durch Schiebetüren sowohl zum Fahrgastraum als auch nach außen hin schließen. Der Fahrschalter war mittig in einem Schalterschrank installiert. Rechts neben dem eigentlichen Fahrschalter befand sich der Fahrtrichtungsschalter und die Kurbel der Handbremse.

Nach der Eingemeindung von Baukau nach Herne am 1. April 1908 wurde die Ziel- und Seitenschilder entsprechend geändert: Statt „Höntrop“ oder „Baukau“ zeigte das Zielschild nunmehr „Höntrop“ oder „Herne“ an. Auch der Linienweg auf der Seitenbeschilderung wurde entsprechend angepasst. Für Sonderwagen gab es, das belegt eine historische Postkarte aus dem Jahr 1910, darüber hinaus das Zielschild „Eickel Btf“.

Um bei nächtlichen Einsätzen eine Blendung des Fahrers durch das Licht im Fahrgastraum auszuschließen, beschloss der Verwaltungsausschuss der Kommunalen Straßenbahn am 24. Januar 1912, rote Scheiben in die Doppelschiebetüren einzubauen.

Alle 19 Wagen gelangten 1913 zur Westfälischen Straßenbahnen GmbH und Anfang 1938 zur Bochum-Gelsenkirchener Straßenbahnen AG. Abgesehen von einigen Kriegsverlusten waren die letzten Fahrzeuge – zuletzt als Arbeitswagen – bis 1965 im Einsatz.

  • Konstruktionszeichnung der Waggonfabrik Falkenried für die Triebwagen 1 bis 19.
    Waggonfabrik Falkenried - Sammlung Ludwig Schönefeld