IN DEN ZWANZIGERN

Bis in die 1920er-Jahre hinein wurden viele Baulücken im Verlauf der von der Straßenbahn befahrenen Straßen geschlossen. Auf den Straßenschildern – und in den folgenden Kapiteln auf der Website – setzte sich das „ß“ anstelle des Doppel-S durch.

Und noch etwas veränderte sich: Vom 1. September 1921 an mussten sich die Fahrgäste auf der Linie von Bochum nach Gelsenkirchen an eine neue Liniennummer gewöhnen: 1 A.

Grund dafür war ein zwischen Essen und Gelsenkirchen aufgenommener Gemeinschaftsverkehr von Gelsenkirchen über Buer nach Bredeney. Diese neue Verbindung erhielt die Nummer 1.

ZWEIGLEISIGER AUSBAU

Die hohe Frequenz der Straßenbahnfahrten auf der Linie 1 A, die gemeinsame Nutzung der Oststraße in Wattenscheid und der Bau einer neuen Straßenbahnverbindung durch die Westfälische Straßenbahn GmbH nach Leithe erforderten eine Verbesserung der Verkehrsführung in der Wattenscheider Innenstadt.

Die Arbeiten wurden bereits 1925 von Gelsenkirchen aus aufgenommen. Im Verlauf der Nordstraße war dies von der Grenze des Amtes Ückendorf bis zum Schlachthof unproblematisch. Hier wurde einfach ein zweites Gleis neben das bestehende Gleis gelegt.

Die enge Wattenscheider Altstadt jedoch stellte die beteiligten Verkehrsunternehmen vor größere Herausforderungen, die zunächst den Fortgang der Arbeiten verzögerten.

Schließlich wurde die folgende Lösung gefunden:

Das Gleis nach Bochum sollte von der Einmündung der Freiheitstraße bis zur Oststraße über die Gertrudisstraße geführt werden. Von der Einmündung der Hagenstraße bis in die Oststraße hinein wollte man die Gleise der Westfälischen Straßenbahn gemeinsam befahren. In Richtung Gelsenkirchen konnten sich die Gesellschaften die Trasse in der Freiheitstraße teilen.


OSTSTRASSE

Die Oststraße war bereits seit 1907 von der Einmündung der Freiheitstraße, einschließlich eines Abzweigs in die Hoch- und in die Chausseestraße, zweigleisig ausgebaut.

Das Beitragsbild dieses Kapitels zeigt den Abzweig in die Chausseestraße und den Beginn der Hochstraße vor dem Schreibwarengeschäft von Caspar Gerwens (Postkarte ohne Verlagsangabe – Sammlung Ludwig Schönefeld). Das Bild oben die Einmündung der Freiheitstraße in die Oststraße (Verlag Heinrich Koch, Essen – Sammlung Ludwig Schönefeld).

Eine im Juli 1925 am Hotel Hagedorn eingebaute, von den Straßenbahnern scherzhaft als „Hosenträger“ bezeichnete Parallelgleisverbindung ermöglichte die Trennung der aus der Freiheitstraße kommenden Linie 1 A, der aus der unteren Oststraße kommenden Linie 10 (Günnigfeld – Langendreer) sowie ab Oktober 1925 auch der Linie L (Wattenscheid Kirche – Leithe).

Da sich der „Hosenträger“ genau an der Stelle der früheren Haltestelle befand, wurde diese in Fahrtrichtung Gelsenkirchen vor die „Alte Apotheke“ verlegt. Abweichend von den üblichen Gepflogenheiten erhielt die Haltestelle sogar ein individuelles Haltestellenschild:

  • Die Haltestelle vor der "Alten Apotheke" an der Ecke Voede- und Freiheitstraße.
    Sammlung Wilderich Putanus - Sammlung Ludwig Schönefeld

WEICHEN AM AMTSGERICHT

Im späten Frühjahr 1927 wurde von der Haltestelle Schlachthof aus das für den Richtungsverkehr der Linie 1 erforderliche ergänzende Gleis in der Gertrudistraße verlegt. In Höhe der Einmündung der Hagenstraße wurde es mit einer Weiche an die Gleise der Westfälischen Straßenbahn angeschlossen. Etwa zeitgleich entstand am Amtsgericht die für den Richtungsverkehr der Linie 10 notwendige Weichenverbindung von der Freiheitstraße in die Hüller Straße.

HOCHSTRASSE

Parallel zu den komplexen Umbauten in der Innenstadt hatte die Bochum-Gelsenkirchener Straßenbahnen AG bereits im März 1927 mit den Arbeiten für den zweigleisigen Ausbau der Hochstraße begonnen. Am 20. April war der Abschnitt zwischen der Friedenskirche und der Einmündung der Querstraße betriebsbereit.

Das nachfolgende, in Höhe des Postamtes aufgenommene Foto zeigt die Hochstraße kurz nach der Fertigstellung des zweiten Gleises. Die geringe Auflösung ist dem Umstand geschuldet, dass das Motiv einer in niedriger Qualität gedruckten Mehrbildkarte entnommen wurde. Alternative Aufnahmen in besserer Qualität sind mir bisher leider nicht bekannt (Hermann Lorch Kunstanstalt, Dortmund – Sammlung Ludwig Schönefeld).

Auch auf dem anschließenden Streckenstück bis zur Stadtgrenze bereitete der Umbau keine Probleme. Das neue Gleis in Richtung Bochum wurde einfach neben das bestehende Gleis gelegt.

Die Ausweichen an der Querstraße und an Kabeisemanns Wiese (Haltestelle „Dellmanshof“) wurden durch Gleiswechsel ersetzt. Die Ausweiche an der Zeche Centrum entfiel ersatzlos.

EINBAHNSTRASSEN

Am 5. August 1927 war der zweigleisige Ausbau der Wattenscheider Innenstadt abgeschlossen.

In Richtung Gelsenkirchen und Günnigfeld fuhren die Linie 1 und 10 nunmehr durch die Freiheitstraße, in Richtung Bochum und Höntrop über die Gertrudisstraße.

Die Wattenscheider Morgenzeitung veröffentlichte zur Aufnahme des Richtungsverkehrs ein Foto der Linie 1 an der Ecke Gertrudisstraße / Oststraße. Der 1925 von der Waggonfabrik Gastell gelieferte Triebwagen 506 ist mit einem der im gleichen Jahr gelieferten Beiwagen in Richtung Bochum unterwegs. Das Verkehrsschild links neben dem Straßenbahnwagen signalisiert, dass die Gertrudisstraße nunmehr auch für den Individualverkehr eine Einbahnstraße war.

KÜRZERE FAHRZEITEN

Als am 15. August 1925 ein neuer Fahrplan in Kraft trat, konnte die Fahrtzeit zwischen Gelsenkirchen und Bochum um neun Minuten verkürzt werden.

Das Beitragsbild – ein Ausschnitt aus einer 1939 gelaufenen Mehrbildkarte (Verlag Heinrich Koch, Essen) – Sammlung Ludwig Schönefeld), zeigt die Einfahrt von der Freiheitstraße und der unteren Oststraße in die obere Oststraße nach dem doppelgleisigen Ausbau. Im Vergleich zu älteren Aufnahmen – etwa dem Titelbild der Website – ist zu erkennen, dass die Richtungsgleise jetzt auf den „Hosenträger“ zulaufen.

Der nachfolgende Gleisplan zeigt die Gleisanlagen in der Wattenscheider Innenstadt im Detail. Er wurde erstmals in meinem 1985 im Fachbuchverlag Monika Reimann verlegten Buch „Die Kommunale“ veröffentlicht (Grafik: Rudolf Inkeller).